Nach dem verheerenden Hochhausbrand in London, bei dem mindestens 79 Menschen ums Leben gekommen sind, wird über die Sicherheit von Fassadendämmungen diskutiert. Zwar sind die Brandschutzbestimmungen in Deutschland deutlich rigider, doch eine branchenübergreifende Antwort steht noch aus. Der Hauseigentümerverband Haus & Grund forderte beispielsweise kurz nach der Katastrophe, dass Eigentümer und Mieter nicht die Versuchskaninchen der Baustoffindustrie sein dürften. Der Dämmstoff Polystyrol solle bis auf weiteres nicht mehr eingesetzt werden. Schon verbaute Polystyroldämmungen sollten auf Kosten der Industrie entfernt, entsorgt und durch nichtbrennbare Stoffe ersetzt werden.
Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann möchte die Vorgaben der Energieeinsparverordnung auf eine mögliche zusätzliche Brandgefahr hin gerne erneut prüfen lassen, obgleich ein vergleichbarer Fassadenbrand an einem Hochhaus in Deutschland so gut wie ausgeschlossen sei. Dem stimmen auch Kritiker und Befürworter der aktuellen Dämmvorschriften weitgehend zu, da in Deutschland an Häusern, die höher als 22 Meter sind und damit von der Feuerwehr nicht mehr über Drehleitern erreicht werden können, keine brennbaren Fassaden verbaut werden dürfen.
Dagegen vermutet die EU-Kommission in den deutschen Anforderungen an Dämmstoffe einen Verstoß gegen die EU-Bauprodukteverordnung und wünscht eine Anpassung. Die Verbände dagegen fordern, dass ein gemeinsamer Markt für Bauprodukte nicht zu Lasten der Sicherheit von Leben und Gesundheit der Bürger gehen dürfe.
Obwohl die Bauwirtschaft boomt, befindet sich die Branche in einer schwierigen Zeit, da der Markt für Wärmedämmverbundsysteme in Deutschland 2016 zum fünften Mal in Folge zurückgegangen ist. Nach Ansicht des schwarzwälder Herstellers Sto sei die anhaltende Verunsicherung der privaten Bauherren verantwortlich, die von einer „widersprüchlichen und teilweise sehr zugespitzten Medienberichterstattung und der daraus resultierenden kontroversen Diskussion über den Einsatz von Wärmedämm-Verbundsystemen“ verursacht worden sei. Dazu hatte die nordrhein-westfälische Regierungskoalition aus CDU und FDP unter dem Hinweis auf steigende Baukosten und wachsende Wohnungsnot im Bundesrat darauf gedrängt, die Energieeinsparverordnung sogar ganz auszusetzen.
Mit dem alternativen und nicht brennbaren Dämmstoff Steinwolle dagegen werden in Deutschland alle neuen Hochhäuser gedämmt, da bei einer Häuserhöhe von sieben bis 22 Meter sogenannte Brandriegel aus nicht entflammbarem Material vorgeschrieben sind. So soll ein Überspringen eines Feuers von einem Stockwerk auf das nächste verhindert werden. Im Ein- und Zweifamilienhaus ist die Wahl des Dämmmaterials allerdings völlig freigestellt. Doch auch dort wäre ein Einsatz sinnvoll, da Steinwolle das Haus nicht nur gegen Temperaturen, sondern auch gegen Schall schützt. Nur der Preis des Dämmstoffs ist deutlich teurer als Polystyrol.