Falls die Telemedizin in Deutschland dieses Jahr liberalisiert werden sollte, könnte dem hiesigen Gesundheitswesen ein scharfer Wettbewerb zwischen Start-ups und großen IT-Unternehmen bevorstehen. So eröffnete der Ausschusses Telemedizin der Bundesärztekammer, dass man den Delegierten des Deutschen Ärztetags in Erfurt im Mai eine Öffnung des sogenannten Fernbehandlungsverbots vorschlagen werde. Den Prüfauftrag hierzu hatte der Ärztetag im letzten Jahr erteilt.
Mit dem bestehenden Fernbehandlungsverbot dürfen Ärzte neue Patienten nur nach einem persönlichen Gespräch behandeln. Es ist daher derzeit nicht möglich, Patienten per Videosprechstunde von einem Arzt beraten zu lassen, bei dem sie zuvor nicht in Behandlung waren.
In Baden-Württemberg gibt es bereits zwei von der Landesärztekammer genehmigte Modellprojekte, mit denen Ärzte auch unbekannte Patienten online beraten dürfen. Da sich die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte in vielen ländlichen Regionen dem Pensionsalter nähert, könnte die Telemedizin ein geeignetes Mittel sein, die Auswirkungen des in wenigen Jahren zu erwartenden Ärztemangels abzuschwächen. Über die App des Münchner Start-ups Teleclinic werden bereits Videoberatungen an mehr als 200 Ärzte vermittelt.
In den Vereinigten Staaten gibt es bereits mit Doctor on demand und MDLive zwei IT-gesponserte Mitbewerber von dem deutschen Start-up, wobei in Doctor on Demand Google Ventures mit drin ist und bei MDLive Microsoft. Vermutlich werde Google in drei bis fünf Jahren sich auch an deutschen Start-up beteiligen. Doch die Einzigartigkeit und Komplexität des deutschen Gesundheitswesens sei eine hohe Eintrittshürde, gibt das Berliner Start-up Patientus, einem Portal für Online-Sprechstunden zu bedenken. Anders als in den Vereinigten Staaten seien es die Patienten in Deutschland zwar nicht gewohnt, für die Behandlung zu zahlen, doch Patientus glaubt dennoch, dass die großen ausländischen Technologiekonzerne durchaus interessiert sind. „Am Ende werden die Patienten buchstäblich mit dem Smartphone abstimmen.“
Doch die noch offene Frage ist, ob und inwieweit die Patienten in Deutschland willig sind, Krankheits- und Gesundheitsdaten mit großen IT-Konzernen zu teilen. Insofern werde ein wichtiger Aspekt sein, wie die Patienten bei Plattformen von Internet-Anbietern das Thema Datenschutz in diesem besonders sensiblen Bereich beurteilen, wirft die Bundesärztekammer ein. Dort geht man davon aus, dass das Fernbehandlungsverbot gelockert wird, erwartet aber nicht, dass es künftig reine Online-Ärzte geben wird. So werden Videosprechstunden den traditionellen Arztbesuch ergänzen, ihn aber nicht ersetzen. Schließlich gelten die Einschränkungen der Fernbehandlung ausschließlich für Patienten, die zuvor keinen physischen Kontakt mit einem Arzt hatten. Insofern ist kein sprunghafter Anstieg für Videosprechstunden nach Änderung der Berufsordnung zu erwarten.