In Deutschland dürfen Beamte weiterhin nicht streiken. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Streikverbot gestern bestätigt. Das klare Streikverbot vom Gesetzgeber als eigenständiger hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist zu beachten. Außerdem ist es mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. Zu diesem Urteil kamen die Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Die Reaktionen fallen entsprechend unterschiedlich aus.
Das höchste deutsche Gericht wies die Verfassungsbeschwerden von vier verbeamteten Lehrern zurück. Das Streikverbot sei „untrennbar mit den verfassungsrechtlichen Fundamenten des Berufsbeamtentums in Deutschland verknüpft“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Das Beamtenverhältnis besteht nach Auffassung des Verfassungsgerichts aus Rechten und Pflichten. Ein „Rosinenpicken“ lässt dieses Verhältnis demnach nicht zu. Die Verfassungsrichter machten darüber hinaus deutlich, dass das Streikrecht auch nicht Teilen der Beamtenschaft zugesprochen werden könne. Sie hoben die Besonderheit des deutschen Beamtenrechts hervor. Dieses würde durch ein Streikrecht im Grundsatz verändert und in Frage gestellt werden, so das Gericht.
Zwar sehen die Richter in den Klagen zugrundeliegenden Disziplinarverfügungen einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Koalitionsfreiheit, dieser sei jedoch durch hinreichend gewichtige, verfassungsrechtlich geschützte Belange gerechtfertigt. Zu diesen gehört Artikel 33 Abs. V Grundgesetz, weshalb ein Streikrecht, selbst nur für nicht hoheitlich tätige Teile der Beamtenschaft, ein Eingriff in den grundgesetzlich gewährleisteten Kernbestand von Strukturprinzipien sei.
Die Bundesregierung und der Beamtenbund begrüßten die Entscheidung. Die Lehrergewerkschaft GEW, die die Klage unterstützt hatte, sprach hingegen von einem „schwarzen Tag für Demokratie und Menschenrechte“.
Als Reaktion auf das Urteil nimmt das Land Hessen Disziplinarverfahren gegen Tausende Lehrer wieder auf. Es handele sich um rund 4200 verbeamtete Pädagogen, sagte gestern ein Sprecher des Kultusministeriums in Wiesbaden. Nach Klagen gegen das Streikverbot hatte das Land die Verfahren zunächst ruhen lassen. 2015 waren Lehrer in Hessen für mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten auf die Straße gegangen, obwohl sie dies nicht dürfen.
Damit würden die funktionswesentlichen Prinzipien der Alimentation, der Treuepflicht, der lebenslangen Anstellung ausgehebelt. Damit sei auch eine Besoldung per Gesetz nicht mehr möglich. Bei der Abwägung der Rechtsgüter kommt der Zweite Senat zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in die Koalitionsfreiheit den Beamten nicht unzumutbar schwer treffe. „Das ist ein schwarzer Tag für Demokratie und Menschenrechte der Beamten“, sagte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie sieht in dem Urteil einen Rückschritt ins vergangene Jahrhundert. Die Gewerkschaft werde das Urteil nun eingehend prüfen und dann über weitere Schritte beraten.
Anders die Reaktion beim DBB Beamtenbund und Tarifunion, der sich einhundertprozentig bestätigt sieht: „Verlässlichkeit und Neutralität der Leistungen des Staates sind in der Bundesrepublik Deutschland über den Beamtenstatus abgesichert. Nur dieser Status garantiert einen in wesentlichen Aufgabenfeldern streikfreien Öffentlichen Dienst, auf den sich die Menschen Tag für Tag, rund um die Uhr jahrein, jahraus verlassen können“, sagte der DBB. Außerdem gebe es gerade zwei Beschäftigtengruppen im Öffentlichen Dienst: Arbeitnehmer, die streiken dürften und Beamte, die ein anderes aber ebenfalls ausgewogenes System hätten, welches das Alimentationsprinzip und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn umfasse.
Es gibt Rechte und Pflichten
Beamter sein und streiken dürfen: Diesen Versuch, das Beste aus zwei Welten für sich zu reklamieren, hat das Verfassungsgericht abgewehrt.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das Streikverbot für Beamte bekräftigt wird, kommt nicht unerwartet. Schon bei der mündlichen Verhandlung im Januar wurden einige Schwachstellen in der Argumentation der Streik-Befürworter aufgedeckt. Das gilt beispielsweise für deren Versuch, die Beamtenschaft zu unterteilen in (nicht streikberechtigte) Kern- und (streikberechtigte) Randbereichsbeamte. Dass die Verfassungsrichter einer solchen Aufsplitterung nicht folgen würden, war absehbar - und ist auch richtig.
Deutschland ist bis heute mit seiner Form des Berufsbeamtentums im Großen und Ganzen gut gefahren. Auch die Beamten selbst haben keinen Grund, sich gegenüber anderen Berufsgruppen über Gebühr benachteiligt zu sehen. Im Übrigen gilt: Wer die Beamtenlaufbahn einschlägt, der weiß, was ihn erwartet. Den Vorteilen, die der Beamtenstatus bietet, stehen Nachteile bzw. Pflichten gegenüber. Zu den zählt das Streikverbot. Wer nun versucht, sich dieser Pflichten zu entziehen, der möchte das jeweils Beste aus zwei arbeitsrechtlichen Welten für sich reklamieren. Dem wollten, dem konnten die Verfassungsrichter nicht folgen.
Es stimmt, angesichts leerer Kassen hat der Staat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, sich seiner Pflichten als Dienstherr teilweise zu entziehen und Beamte im Besoldungsanstieg schwächer zu stellen, auch das geht nicht. Aber auch dazu gibt es bereits verfassungsrechtliche Urteile – oft im Sinne der Beamten.