Auf Steuernachzahlungen des Finanzamtes werden ab 15 Monaten nach Fälligkeit Zinsen erhoben – 0,5% pro Monat, also 6% pro Jahr. Die Idee dahinter: wer dem Finanzamt Steuern schuldet und diese nicht zahlt, kann mit dem Geld theoretisch wirtschaften. Dafür steht dem Gläubiger ein Ausgleich zu. Aus dem gleichen Grund zahlt der Fiskus bei Steuererstattungen ab dem 15. Monat nach Ende des Veranlagungszeitraums 6% Zinsen. In der Praxis ist das für den Bund ein gutes Geschäft, denn es werden sehr viel mehr Steuern nachgezahlt als erstattet, insbesondere im Zuge von Betriebsprüfungen bei Firmen.
Die Ausgestaltung dieser Steuerpraxis ist aus mehreren Gründen umstritten. Erstens wird bemängelt, dass Zinszahlungen aus Steuererstattungen ihrerseits der Kapitalertragsteuer unterliegen – Zinszahlungen bei Steuernachzahlungen können aber nicht von der Steuer abgesetzt werden. Zweitens gilt die Höhe der Zinsen von 6% pro Jahr – der Zinssatz stammt noch aus der Wirtschaftswunderzeit, nämlich 1961 – inzwischen als völlig überzogen. Wegen der Höhe der Zinsen sind bereits Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, dazu Musterklage des Bundes der Steuerzahler zum BFH: AZ BFH – III R 25/17).
Auch der IX. Senat des obersten deutschen Steuergerichts, des Bundesfinanzhofes (BFH), hatte im Mai 2018 in einem aufsehenerregenden Beschluss (Beschluss IX B 21/18) festgestellt, dass die Höhe der Zinsen, die der Fiskus erhebt, zumindest ab 2015 erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sei – diametral entgegen einem Beschluss des III. Senats des BFH aus Oktober 2017. Konkret verstoße der hohe Zins gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). In der aktuellen Niedrigzinsphase – der BFH spricht von einer strukturell und nachhaltig verfestigten Niedrigzinsphase – habe der Steuerzahler gar nicht mehr die Möglichkeit, mit seinem Geld am Markt 6% Zinsen zu erwirtschaften. Das Finanzgericht Münster hat mittlerweile die Verfassungswidrigkeit der 6% auch für das Jahr 2014 angezweifelt; für 2013 sei der Zinssatz hingegen noch unbedenklich (AZ 9 V 2360/18 E). Auch der Argumentation des III. Senats aus dem Jahr 2017 widersprach der IX. Senat. Der III. Senat hatte argumentiert, die Zinsen, die der Fiskus verlange, seien weniger mit Sparzinsen, als mit Darlehens- und Kreditzinsen vergleichbar. Bei Krediten gelten jedoch, so der IX. Senat, besondere Faktoren; sie seien nicht für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet. Auch das Interesse der Finanzverwaltung an der Vereinfachung der Verwaltung, die für den Pauschalzins von 0,5% pro Monat angeführt wird, lässt der BFH nicht gelten: es rechtfertige nicht derart hohe Zinsen und verstoße gegen das Übermaßverbot. Der Beschluss des BFH erging allerdings im Schnellverfahren, das Hauptsacheverfahren steht noch aus. Im Rahmen dieses Verfahrens wird der BFH die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Zinsen wohl an das Bundesverfassungsgericht weitergeben.
Dass das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss, liegt nicht zuletzt auch am politischen Unwillen der Bundesregierung. Diese hält nach wie vor an der Auffassung fest, 6% Zinsen seien angemessen und verfassungsgemäß. Zwar haben Hessen im September 2018 und Bayern schon im Juli 2018 Vorstöße gemacht, über den Bundesrat Gesetzesinitiativen zu lancieren, um den Zinssatz zu halbieren. Diese stecken aber in den Ausschüssen des Bundesrats fest. Der Bund der Steuerzahler fordert ebenfalls eine Halbierung der Zinsen auf 3%. Und auch das Finanzgericht Münster hält einen Zinssatz von 3% ab 2014 für verfassungsmäßig unbedenklich.
Betroffenen Steuerzahlern wird derzeit geraten, gegen entsprechende Zinsbescheide ab 2014 unter Verweis auf die anhängigen Verfahren Einspruch einzulegen und das Ruhen des Verfahrens beantragen. Betroffene können außerdem die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Zinsbescheides beantragen – unter bestimmten Voraussetzungen, die das Bundesfinanzministerium in einem Rundschreiben an die Finanzämter vom 14.06.2018 definiert – und, wenn das Finanzamt dem nicht stattgibt, das Finanzgericht anrufen. Wird dem Antrag statt gegeben, müssen die Nachzahlungszinsen zunächst nicht gezahlt werden. Allerdings: Sollten die Gerichte letztlich doch zu der Auffassung gelangen, dass die 6% Zinsen verfassungsgemäß sind, müssen die ausgesetzten Zinsen später ihrerseits für den Zeitraum der Aussetzung verzinst werden. Wer es sich leisten kann, sollte daher vorsichtshalber keinen AdV stellen und die Zinsen vorläufig zahlen.
Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Beratern, die ihren Mandanten raten, die Zinszahlungen des Finanzamtes im Rahmen von Steuererstattungen zur Geldanlage zu nutzen. 6% Zinsen klingen tatsächlich derzeit nach Traumrendite. Allerdings zahlt der Fiskus erst ab dem 15. Monat und auch nicht in jedem Fall. Er zahlt zudem keine Zinseszinsen und die gezahlten Zinsen müssen versteuert werden. Diese Art der Geldanlage ist daher nur eingeschränkt praxistauglich.