Anders als in den USA, wo Sammelklagen VW zu einer ordentlichen Entschädigung der durch die Abgasmanipulation geschädigten Verbraucher gezwungen haben, weigert sich der Konzern hartnäckig, auch deutschen Kunden einen entsprechenden Schadenersatz anzubieten. Bisher bietet VW seinen Kunden lediglich ein kostenloses Software-Update, das die Betrugssoftware entfernt und die Abgasreinigung verbessert. Dieses Update ist nicht verpflichtend; Kunden handeln sich aber möglicherweise Ärger mit den Behörden ein, wenn sie es nicht machen lassen.
Um Schadenersatz geltend zu machen, müssen Verbraucher individuell klagen. Viele Ansprüche gegen VW-Händler sind bereits verjährt. Ansprüche gegen VW selbst verjähren größten Teils schon zum 31.12.2018. Die ersten rechtskräftigen Urteile geben zum großen Teil den Verbrauchern Recht – mit unterschiedlichen Argumentationen; im Ergebnis können die Käufer von manipulierten Autos diese jedoch zumeist zurückgeben und bekommen den Kaufpreis zurück oder einen neuen, nicht manipulierten Wagen. Streitig ist, ob für die Zeit, in der der Wagen gefahren wurde, eine Nutzungspauschale abgezogen werden kann; das haben Gerichte bislang unterschiedlich entschieden. Wer zu den Geschädigten gehört und bisher noch nichts unternommen hat, für den wird die Zeit knapp. Eine Option, sein Recht auf Schadenersatz zu wahren, ist es, sich der Musterfeststellungsklage gegen VW anzuschließen, die der ADAC und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) angestrengt haben. 81.000 Kunden haben sich bereits registriert. Hier sind Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was ist und was bewirkt eine Musterfeststellungsklage? Eine Musterfeststellungsklage ist keine Sammelklage, wie man sie aus den USA kennt. Es geht nicht darum, von VW eine bestimmte Leistung zu erstreiten, z.B. Schadenersatz, sondern darum, allgemeine Voraussetzungen für eine Leistungsklage für viele ähnliche Fälle feststellen zu lassen. Konkret: Das Gericht soll feststellen, dass VW die Kunden durch die Manipulation der Abgaswerte vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat und ihnen deshalb grundsätzlich Schadenersatz schuldet. Stellt das Gericht, das OLG Braunschweig, dies fest, hat das vor allem zur Folge, dass die Verjährung der Ansprüche der Kunden gehemmt wird. Kunden haben nach Urteilsverkündung ein halbes Jahr Zeit, eine eigene, zweite Klage gegen VW zu erheben und sich dabei auf das Feststellungsurteil zu berufen – dieses ist für alle deutschen Gerichte bindend.
Wer kann sich der Musterfeststellungsklage anschließen? ADAC und VZBV klagen für Käufer von Autos der Marken VW, Audi, Seat und Skoda, die einen Dieselmotor des Typs EA 189, Hubraum 1,2, 1,6 oder 2,0 Liter, haben, und in denen eine illegale Abschalteinrichtung verbaut war. Letzteres muss durch Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes oder einer anderen europäischen Genehmigungsbehörde festgestellt worden sein. Klagen können Käufer, deren Kaufverträge ab dem 01.11.2008 abgeschlossen wurden, auch dann, wenn das Auto gebraucht gekauft war oder mittlerweile wieder verkauft ist. Auch andere Hersteller haben möglicherweise manipuliert; die Feststellungsklage konzentriert sich aber auf VW, weil hier nach jetzigem Kenntnisstand am häufigsten manipuliert wurde. Wer ein anderes Motorenmodell hat oder Autos anderer Hersteller fährt, muss gegebenenfalls individuell klagen. Leasingnehmer und Personen, die ein Auto nicht gekauft haben (z.B. Schenkung) können nicht klagen.
Wie geht man vor? Das Bundesamt für Justiz hat die Klage von VZBV und ADAC am 26.11.2018 auf seiner Internetseite veröffentlicht. Dort können sich Betroffene kostenlos ins Klageregister eintragen, heißt: sie füllen ein zweiseitiges Formular mit ihren persönlichen Daten aus. Für Klagegrund und Klagegegenstand stellt der VZBV Textbeispiele zur Verfügung. Das Formular wird online an das Justizministerium geschickt; es muss nicht unterschrieben werden. Vor Antragstellung sollte man im Klage-Check prüfen, ob die Klage für den eigenen Fall geeignet ist: www.musterfeststellungsklagen.de/klage-check. Da die genauen Fristen noch nicht bekannt sind, empfehlen ADAC und VZBV, sich sicherheitshalber bis zum 31.12.2018 zu registrieren. Bis zur ersten mündlichen Verhandlung kann man sich kostenlos auch wieder aus dem Register austragen. Einen Anwalt braucht man nicht; es gibt keine Nachweis- oder Beweispflichten. Schwierigkeiten gibt es u.U., wenn VW-Kunden ihre Rechte in der Vergangenheit bereits an Rechtsdienstleister wie www.vw-verhandlung.de oder Myright abgetreten hatten. Betroffene sollten von den Anbietern klären lassen, ob sie sich der Musterfeststellungsklage noch anschließen können. Haben Verbraucher einen Vergleich mit VW geschlossen, ist es i.d.R. nicht mehr möglich, noch teilzunehmen. Laufen bereits individuelle Klagen, ist die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage möglich, wenn noch kein rechtskräftiges Urteil ergangen ist.
Welche Vor- und Nachteile hat die Teilnahme am Musterfeststellungsklage-Verfahren? Vorteil ist: Der Geschädigte bekommt eine einfache, kostengünstige und risikoarme Option, das Recht auf Schadenersatz gegen VW zu wahren. Die klagenden Verbände tragen die Kosten und das Prozessrisiko. Wird die Klage positiv entschieden, Kunden in Ruhe ihre Schadenersatzklagen geltend machen, bei denen ein Großteil des Prozessinhaltes bereits zu ihren Gunsten entschieden ist. Nachteil: Es ist immer möglich, dass eine Klage nicht im Sinne der Kläger entschieden wird, auch wenn die Rechtsprechung bisher in der Regel verbraucherfreundlich ist. In diesem Fall können Kunden, die sich an der Klage beteiligt haben, nicht mehr individuell gegen VW klagen. Außerdem ist das Instrument einer Musterfeststellungsklage im deutschen Recht neu; es gibt noch keine Erfahrungswerte damit und vor allem nicht zur möglichen Dauer des Verfahrens.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es? Käufer, die das Fahrzeug über die Hausbanken von VW, Audi, Seat, Skoda oder die Autoeuropa-Bank finanziert haben, können möglicherweise ihre Kreditverträge widerrufen. Auch hier gibt es Musterklagen; zu den Einzelheiten sollte man sich rechtlich beraten lassen. – Da VW auch CO2-Werte zu niedrig angegeben hat, und aufgrund dieser Werte die KFZ-Steuer zu niedrig angesetzt worden sein kann, kommt es in ca. 36.000 Fällen zu Steuernachzahlungen. VW hat bereits angekündigt, diese Mehrkosten zu übernehmen. – Für Individualklagen sollten betroffene KFZ-Halter nun in jedem Fall sehr zeitnah tätig werden.