Mit einer „Familienarbeitszeit“ will die SPD vor allem Eltern von kleinen Kindern und Angehörige von Pflegebedürftigen zur Wahlurne locken. SPD-Vize und Familienministerin Manuela Schwesig will mit ihrem Konzept diese Familien spürbar entlasten. Dabei sollen Väter und Mütter künftig ihre Arbeitszeit zwei Jahre lang auf 26 bis 36 Stunden ("vollzeitnah") reduzieren können und dafür ein Familiengeld von zusammen 300 Euro erhalten. Auch für Angehörige, die sich um Pflegefälle in der Familie kümmern, soll eine ähnliche Regelung gelten. Das Konzept werde jährlich rund 2,5 Milliarden Euro kosten.
Schon 2016 hatte Schwesig ein ähnliches Konzept vorgelegt, was jedoch von der Union abgelehnt wurde. Sie begründet die Notwendigkeit dieser Änderung mit dem „massiven Druck durch eine Doppelt- oder Dreifachbelastung“ der Familien. Es sei ein Kulturwandel erforderlich, denn das noch immer vorherrschende Modell, wonach Väter nach der Geburt eines Kindes weiter Vollzeit arbeiten und Mütter erheblich reduzierte Teilzeit, müsse sich ändern. Derzeit leisten rund 80 Prozent der Frauen die Arbeit für Kinder und Pflegefälle. Die Arbeitswelt müsse endlich familienfreundlicher werden.
Doch die Arbeitgebervertreter halten nichts von Schwesigs Konzept. „Überflüssig“ sei ihre Idee laut dem Arbeitgeberverband BDA. Es müssten stattdessen mehr Ganztagskitas und Ganztagsschulen eingeführt werden. Auch der Verband Gesamtmetall fürchtet durch die geplante Familienarbeitszeit eine Verschärfung des Arbeitskräftemangels. Die Linken fordern dagegen weitergehende Regelungen, so die Parteivorsitzende Katia Kipping. Als eine Bevormundung der Väter und Mütter befand gar Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) die Pläne Schwesigs. Nach Willen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer soll es dagegen einmalige finanzielle Hilfen für junge Paare geben, ein "Kindersplitting" mit höheren Steuerfreibeträgen, eine schrittweise Abschaffung der Kitagebühren und sinkende Sozialversicherungsbeiträge für Familien sowie Bildungskontos.
In Schweden, dem unangefochtenen Spitzenreiter bei familienfreundlichen Arbeitsbedingungen, ist die Vollzeiterwerbsquote der Frauen übrigens auch deshalb höher als in anderen EU-Ländern, weil die Männer Abstriche machen. Doch es braucht dazu zunächst einen Bewusstseinswandel bei den Ehe- oder Lebenspartnern. Schließlich können oder wollen es sich die meisten Mittelschichtsfamilien nicht leisten, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten und ihre Kinder ebenfalls Vollzeit von einer Nanny betreut werden. Da kommt schnell die Erkenntnis, dass ein Fulltime-Job für beide kaum machbar ist. Aber erst wenn sich die Eltern einig sind über ihre Grenzen des familiär und persönlich Machbaren, werden die um Talente kämpfenden Firmen auch reagieren.