In Bayern gilt der Monat Mai bei vielen Viertklässlern und Eltern als "Monat der Auslese". Dann stellt sich nämlich heraus, wie es nach der Grundschule weitergeht. Deshalb sei der Druck für die Kinder enorm, teilweise schon seit der ersten Klasse, erklärt der Bayerische Landeselternverband. Manche Eltern würden alles daransetzen, dass die Kinder aufs Gymnasium gehen können.
So wird in Nachhilfe investiert oder ständig mit Kindern geübt, damit sie bei den Übertrittszeugnissen im Mai den Notenschnitt von mindestens 2,33 in Deutsch, Mathe, Heimat- und Sachunterricht erreichen, mit dem der Wechsel aufs Gymnasium erlaubt ist. Schafft das Kind diesen Schnitt nicht, kann es nur noch über den Probeunterricht auf Bewährung ins Gymnasium. Hierbei bliebe den Kindern zu wenig Zeit zum Spielen und schon Neunjährige litten unter Erschöpfungszuständen, gibt der Bayerische Landeselternverband zu bedenken.
Die Selektion der Kinder nach der vierten Klasse sei zu früh. Zudem lasse der Druck auch nach dem Wechsel aufs Gymnasium nicht nach, da in den Klassen fünf, sechs und sieben oft weiter ausgesiebt werde, mit der Folge, dass einige Kinder wieder abgeschult werden. Mit dem Verfahren ist Bayern ein Extrembeispiel, weil die Notenregeln so rigide sind. Doch auch im Rest der Republik, wo in vielen Bundesländern der Elternwille beim Schulwechsel mehr zählt, geraten Familien unter Druck, weil das Kind einen der begrenzten Plätze am Gymnasium bekommen und später behalten soll. Das geht sogar so weit, dass manche Mütter, darunter promovierte Akademikerinnen, ihren Beruf zum Schulwechsel ihrer Kinder aufgeben oder nur noch Teilzeit arbeiten, um nachmittags Zeit zu haben, um ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen, stellte die Sozialforscherin Katja Wippermann nach rund 200 Interviews mit Eltern fest. Zwischenzeitlich kämen in Bayern Eltern sogar mit einem Anwalt in die Lehrersprechstunde, um Druck auf die Notengebung auszuüben, so die Rechtsabteilung des Bayerischen Lehrerverbandes.
Dazu tragen auch Unternehmen bei, bei deren Ausbildung früher ein Realschulabschluss genügte, heute jedoch oft das Abitur vorausgesetzt wird, beispielsweise bei der Bank- oder Optikerlehre. Die Haupt- und Realschulen wurden deutlich abgewertet und die Politik habe den Wünschen der Eltern nachgegeben und die Hürden fürs Gymnasium immer weiter gesenkt, erklärt der Bildungsforscher Jürgen Baumert. So wechseln heute rund 40 bis 50 Prozent der Schüler auf Gymnasien, in den Fünfzigerjahren waren es nur rund zehn Prozent eines Jahrgangs.