Etwa vier Wochen nachdem einige wenige junge Ärzte auf Isomatten im Foyer einer Warschauer Kinderklinik mit Transparenten auf denen "Hungerstreik!" stand, campierten, finden ähnliche Aktionen in allen größeren Städten Polens statt. In Breslau, Danzig, Krakau und Stettin treten junge Ärzte wegen der miserablen Arbeitsbedingungen für Assistenzärzte in den Hungerstreik, Medizinstudenten demonstrieren und Ärztevereinigungen oder private Arztpraxen unterzeichnen Solidaritätsaufrufe mit den Streikenden.
Dabei geht es längst nicht mehr nur die extreme Arbeitsbelastung, sondern inzwischen ganz allgemein um den schlechten Zustand des polnischen Gesundheitswesens, das völlig unterfinanziert ist. In den Krankenhäusern herrscht dramatischer Personalmangel. Laut dem Verband der Assistenzärzte müssten Patienten oft tagelang auf einfache Untersuchungen wie Röntgen warten. So seien viele medizinische Einrichtungen schlecht ausgestattet und seit Langem nicht renoviert worden. Teilweise mangele es sogar an Hygieneartikeln wie Toilettenpapier. Polen habe eins der schlechtesten Gesundheitssysteme der gesamten Europäischen Union.
Doch auch in anderen Ländern im Osten der EU protestieren aktuell Angestellte des Gesundheitswesens. So gingen in Rumänien tausende Ärzte und Pfleger gegen Lohn- und Zuschlagskürzungen auf die Straße. Auch in Tschechien schlossen zahlreiche Haus- und niedergelassene Fachärzte aus Protest gegen die schlechte Bezahlung für einen Tag ihre Praxen. Seit Monaten haben in Bulgarien Angestellte mehrerer Kliniken keinen Lohn erhalten, weshalb dort in den vergangenen Tagen und Wochen gestreikt wird. Dagegen wollen die Hausärzte in Lettland mit einem sogenannten "langsamen" Streik, bei dem nur eine geringe Anzahl von Patienten pro Tag versorgt werden, Tariferhöhungen erkämpfen.
Der Zustand der Gesundheitssysteme in den meisten östlichen Ländern der EU ist mangelhaft bis desaströs. Der Anteil der öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen liegt mit Ausnahme Tschechiens, der Slowakei und Sloweniens bei unter fünf Prozent des Bruttosozialproduktes. Der EU-Durchschnitt liegt bei acht Prozent.
Begründet durch diese chronische Unterfinanzierung wanderten viele Ärzte und Pfleger seit Jahren in westliche Länder ab, wo sie ein Vielfaches ihrer einheimischen Löhne verdienen. Aufgrund des Mangels an medizinischem Personal in Deutschland hat kaum jemand Probleme, Arbeit zu finden. Mitunter zahlen medizinische Einrichtungen sogar Sprachkurse. So haben sich auch in fast allen osteuropäischen Herkunftsländern etliche Firmen darauf spezialisiert, medizinische Arbeitskräfte nach Deutschland oder in andere westliche Staaten zu vermitteln.