Die Internationale Psychoanalytische Vereinigung versuchte in ihrem jüngsten Weltkongress in Buenos Aires vorherrschende Vorurteile zu korrigieren. So hört man oft, dass ihre Theorie wissenschaftlich nicht überprüft und ihre Praxis für viele Patienten nicht geeignet sei. In langen Therapien beschäftige sie sich nur mit dem Innenleben und vernachlässige dabei wesentliche soziale Entwicklungen. In dem Weltkongress kam unter dem Leitthema „Intimität“ ein breites Spektrum psychoanalytischer Erfahrungen zur Sprache. Besonders die Beschädigung der persönlichen Intimität und Integrität durch Gewalt, Terror und politische Repression waren präsent, da sich Gewalterfahrungen in das individuelle und kollektive Unbewusste einschreiben und zu massiven Veränderungen des Körper- und Selbstgefühls sowie der sozialen Beziehungen führen können. Sie werden über Generationen hinweg sogar weitergegeben.
Obwohl es auch einige Subkulturen gibt, die sich den neurobiologischen und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen, ist der Mainstream am interdisziplinären Diskurs interessiert. Die Psychoanalyse verfügt über ein breites Spektrum an Konzepten, die die Wirkung traumatischer Erfahrungen sowohl neuro- als auch sozialwissenschaftlich erklären können. So suchen die psychoanalytischen Institute wieder verstärkt den Kontakt zu den Universitäten und umgekehrt die Psychoanalyse zu der universitären Lehre. Auch in politischen Organisationen wie den Vereinten Nationen werden Psychoanalytiker um ihre Meinung gefragt. Sie helfen in internationalen Konflikten zu vermitteln und beteiligen sich an der Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme. Dazu sind Psychoanalytiker auch in Beratung und Coaching von wissenschaftlichen Institutionen und Unternehmen aktiv.
Psychoanalyse ist zugleich Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaft, da sie sowohl die Methoden der evidenzbasierten Medizin als auch diejenigen der Kultur- und Geisteswissenschaften nutzt. Zwar werden sich diese Methoden traditionell gegenübergestellt, jedoch können sie sich auch ergänzen. So kann in die Interpretation naturwissenschaftlicher Befunde immer nur der Sinn eingehen, der sprachlich formuliert und damit von der kulturellen Dynamik geprägt ist. Daher kann diese Interpretation nicht naturwissenschaftlich erklärt, sondern nur hermeneutisch verstanden werden. Auch die Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse kann nicht aus der Naturwissenschaft selbst begründet werden.
Die Psychoanalyse ist eine spezielle Form des kommunikativen Handelns. In dem intimen therapeutischen Gespräch können verpönte Regungen und verdrängte Erfahrungen wahrgenommen und, wenn es gut läuft, schöpferisch transformiert werden und das Fehlen von äußerer Kontrolle ermöglicht oftmals die Entwicklung eines authentischen Selbst, das mit seiner Herkunft, seinen Lebensumständen und seinen Möglichkeiten kreativer umzugehen lernt. Jedoch ist die Psychoanalyse nicht frei von Zwang. So wird die Lehranalyse, der sich werdende Psychoanalytiker unterziehen müssen, manchmal als versteinertes Ritual erlebt. Der Weltkongress in Buenos Aires forderte, dass die Lehranalyse kein antiquiertes Unterwerfungsritual darstellen soll, sondern die Fähigkeit zur verständnisvollen Begleitung notleidender Patientinnen. Dazu müsste sich die Lehranalytiker auch flexibel auf die Bedürfnisse ihrer Kandidaten einstellen.