Im Children's Hospital of Philadelphia konnten Mediziner eine kleine medizinische Sensation erringen. Sie haben im Medizinjournal „New England Journal of Medicine“ das Behandlungsergebnis einer Gentherapie an zehn Bluterkranken vorgestellt. Seit teilweise mehr als einem Jahr brauchen die vorgestellten zehn Patienten keine der bisher lebenswichtigen Medikamente mehr einzunehmen, die sie zuvor wöchentlich ein bis dreimal schlucken mussten, damit sie nicht an einer inneren Blutung sterben.
Die Patienten sind an der Bluterkrankheit Hämophilie B erkrankt, die zu jenen seltenen Erbkrankheiten gehört, die von einem einzelnen Gendefekt ausgehen. Ihre Wunden können kaum ausheilen, ohne Blut, das gerinnen kann. Dabei läuft die Gerinnung in Kaskaden ab und benötigt einige zum Teil in der Leber produzierte biochemische Faktoren. Doch fällt einer dieser Faktoren aus, ist auch die Wundheilung gestört. In Deutschland gibt es nur vier- bis fünfhundert Patienten mit dieser Störung, wohingegen einige tausend Bluterkranke an einer ähnlichen, noch schwereren Form Hamöphilie A, leiden. Bei beiden Erkrankungen wird ein Blutgerinnungsfaktor im Blut in zu geringer Menge gebildet. Dabei fehlt bei Hämophilie B der Faktor IX, der sogenannte „Christmas-Faktor“, wobei die angeborene Blutungsneigung schon in der Kindheit beispielsweise nach Stürzen zu bedrohlichen inneren Blutergüssen, die insbesondere in den Gelenken und Muskeln nicht nur für Hämatome sorgen, sondern auch große Schmerzen verursachen.
Schon in den siebziger Jahren wurde die Idee, diese von einzelnen Gendefekten auf dem X-Chromosom verursachte Störung durch eine Korrektur des betreffenden Gens zu reparieren, entwickelt. Nachdem die rekombinante Gentechnik in den Neunzigern ihre ersten Erfolge in Versuchstieren feierte und die schadhafte Genversion durch „gesunde“ Gensequenzen ersetzt wurden, folgten Versuche an Patienten, deren Erfolge jedoch selten von langer Dauer waren. Die mit Viren eingeschleusten korrigierten Gene waren entweder nicht lange genug aktiv, oder die genbehandelten Zellen im Körper der Patienten wurden vom eigenen Immunsystem bekämpft.
All diese „Kinderkrankheiten“ der Bluter-Gentherapie haben die amerikanischen Ärzte aus Philidalphia mit akribischer gentechnischer Feinarbeit eliminiert. Mithilfe einer einzelnen Injektion von Millionen eigens hergestellter Virenpartikel, in denen die funktionstüchtigen Faktor-IX-Genvarianten verpackt waren, konnte die Blutgerinnung der Patienten dauerhaft zum Laufen gebracht werden. Dabei wurden die Genpartikel gezielt in die Zellkerne der Leberzellen eingeschleust, wo sie als kleine hochaktive ringförmige Genschnipsel eingelagert wurden und somit auch das eigene Erbgut der Leberzellen nicht gefährlich stören konnten. Dazu erwiesen sich die heilsamen Genringe als höchst produktiv. Die Forscher benutzten eine besondere Variante des Faktor-IX-Gens namens „Padua“, das die Blutgerinnung achtmal so effektiv anfacht wie die gewöhnliche Faktor IX-Erbanlage. Hiermit konnten die Wissenschaftler sicherstellen, dass in den erfolgreich genbehandelten Leberzellen dauerhaft genug von dem lebenswichtigen Blutgerinngungsfaktor gebildet wurde und nicht etwa durch die Teilung dieser Leberzellen mit der Zeit zu schnell verloren geht. Damit erreichte die Konzentration des Faktor IX im Blut der gentherapierten Patienten gut 30 Prozent des Levels bei gesunden Menschen, was offenbar völlig ausreicht, um die Blutungsneigung auf ein gesundes Maß zu bringen.
Bis diese Therapie den meisten Hämophilie B-Patienten zur Verfügung steht, werde es jedoch noch drei bis fünf Jahre dauern, da zuvor noch umfangreiche klinische Phase III-Studien anstehen, die beweisen müssen, dass die Faktor-IX-Aktivität von 30 Prozent dauerhaft, also über Jahre, bestehen bleibt, keine Nebenwirkungen der Leber auftreten wie etwa eine Erhöhung der Leberwerte und die Gentherapie auch sonst keine schweren Nebenwirkungen zeigt.