Wenn man nachts nur mit ausgetreckten Händen die Toilette findet, tagsüber die Sonne blendet und die Augen lange brauchen, um sich an Dunkelheit zu gewöhnen, könnte eine erbliche Netzhautdegeneration diagnostiziert sein. Damit gehen schrittweise die Sinneszellen der Netzhaut zugrunde. Das Gesichtsfeld schränkt sich von außen ein, bis man nur noch wie durch einen Tunnel und später so gut wie nichts mehr sieht. Diese Netzhautdegenerationen können durch Veränderungen in mehr als 250 Genen hervorgerufen werden. Einige führen schon bei Kindern zu Blindheit, andere zeigen sich erst im Jugend- oder Erwachsenenalter. Die Blindheit kann unterschiedlich schnell voranschreiten. Betroffen ist etwa einer von 2.500 Menschen. Da es für diese Krankheit noch keine Therapie gibt, ist die Diagnose für die Betroffenen und ihre Angehörigen ein Schock. Sie müssen damit rechnen, immer schlechter sehen zu können.
Doch schon bald soll die erste Gentherapie gegen die frühkindliche Netzhautdegeneration zugelassen werden. Es ist die erste Zulassung einer Gentherapie dieser Art, die auch in Deutschland vorgenommen werden könnte. Für die Ärzte und Forscher sei dies ein Durchbruch, erklärte eine Augenklinik. Allerdings käme die Gentherapie nur bei den wenigen Patienten mit Veränderungen im RPE65-Gen infrage und werde nicht zu einer hundertprozentigen Wiederherstellung des Sehens führen. Von den in Deutschland rund 150 bis 200 Betroffenen der erblichen Netzhautdegeneration, werden allein rund 25 an einer Universität betreut.
Bei der Gentherapie werden gesunde Versionen des RPE65-Gens in leeren Viren transportiert – quasi wie in einem Taxi – und in einer Operation unter die Netzhaut gespritzt. Die Viren-Taxis laden die Gene dann in dem unter der Netzhaut liegenden retinalen Pigmentepithel ab, das dann das fehlende Eiweiß herstellt. Das Gen RPE65 ist unerlässlich für das Sehen. Fällt Licht auf eine Sehzelle, zerfällt das Sehpigment. Es erzeugt einen Lichtreiz, den das Gehirn wahrnimmt. Damit das Sehpigment für den nächsten Lichtreiz regeneriert wird, braucht man RPE65.
Getestet wurde die neue Gentherapie in verschiedenen internationalen Zulassungsstudien an 41 Patienten im Alter zwischen vier und 44 Jahren getestet. Die behandelten Teilnehmer schnitten nach einem Jahr in einem vordefinierten Parcours-Test besser ab, den sie unter schlechten Lichtverhältnissen und mit eingebauten Hindernissen und Stufen gehen mussten, berichtete eine Fachzeitschrift. Auch die Lichtempfindlichkeit der Patienten verbesserte sich stark. Zwar traten keine schlimmen Nebenwirkungen durch den Wirkstoff auf doch ließen sich keine klaren Verbesserungen in der Sehschärfe nachweisen. Dennoch können die Patienten so wenigstens nachts beim Gang aufs WC einen Schrank schemenhaft besser erkennen, so dass sie nicht mehr dagegen stoßen. Profitieren werden daher vor allem Patienten, bei denen die Netzhaut noch nicht so stark geschädigt ist. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA entscheidet am 12. Januar 2018, ob die Therapie zugelassen wird, die europäische Behörde EMA soll hierüber in der zweiten Jahreshälfte 2018 entscheiden.