Der Streit um den Brexit zwischen der EU und Großbritannien droht zu eskalieren: Nach dem Willen einiger EU-Politiker soll Großbritannien nur den Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten, wenn Großbritannien im Gegenzug die Freizügigkeit von EU-Bürgern akzeptiert.
Premierministerin May will dagegen die Zuwanderung begrenzen.
Großbritannien droht daher laut einem anonymen Insider in einem Bericht der "Sunday Times" mit einer Halbierung der Unternehmenssteuer von 20 auf 10 Prozent. Damit wolle man sich die Zugänge zum EU-Binnenmarkt trotz EU-Austritt erhalten. Eine Senkung auf unter 15 Prozent hatte schon der damalige Finanzminister George Osborne kurz nach dem Brexit-Referendum angekündigt. Sein Nachfolger Hammond spricht intern nur noch von einer Senkung auf maximal 17 Prozent, welche nach den bisherigen Regierungsplänen ohnehin für 2020 vorgesehen sei. Allerdings ist die derzeitige Steuer von 20 Prozent schon unter dem Steuersatz der meisten großen Industrieländer. Eine weitere Absenkung würde den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten erhöhen und könnte gleichzeitig einen neuen Abwärtswettlauf befeuern.
Es spricht jedoch viel dafür, dass eine mögliche Steuersenkung der Briten nicht allzu massiv ausfallen wird. So ist das wichtigste Gegenargument die daraus resultierenden sinkenden Steuereinnahmen. Möglicherweise würde sich die Steuersenkung durch die hierdurch angezogenen Unternehmen selbst finanzieren, aber dieser Mechanismus ist nicht zuverlässig. Zudem will Großbritannien den Wegzug ansässiger Firmen - speziell Banken - verhindern. Mit einem Verlust der sogenannten Passporting Rights, der Erlaubnis ihre Dienstleistungen im Rest der EU anzubieten, könnte dies die Londoner Finanzbranche zu einem Wegzug in die EU zwingen. Schon seit langem wird daher über die Verlegung von Teilen europäischer Niederlassungen an andere Standorte wie z.B. nach Frankfurt diskutiert. Die ersten Banken wollen schon im nächsten Jahr Personal aus London abziehen. Dies wäre für Großbritannien eine Katastrophe, da zahlreiche der weltgrößten Banken ihre Europa-Zentralen auf der Insel haben. Mehr als 2 Millionen Menschen in der Finanzbranche erwirtschaften rund 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, rund ein Fünftel der britischen Wirtschaft.
Der Lobbyverband der britischen Banken "British Bankers Association" schlägt dagegen eine Abschaffung des achtprozentigen Zuschlags auf die Körperschaftssteuer für Finanzinstitute vor. Damit würde zielgerichtet die Finanzbranche entlastet werden und man müsste nicht auf die Steuereinnahmen der übrigen britischen Unternehmen verzichten.
Ministerin May hatte in einem inner-britischen Treffen versucht, den Vertretern der vier Teilnationen Großbritanniens ihre Brexit-Pläne zu erklären. Die Regierungen von Schottland und Wales zeigen sich jedoch besorgt über das Fehlen einer klaren Linie der Zentralregierung in London. May erklärte, die vier Nationen des Königreichs würden gemeinsam dafür sorgen, dass der Brexit ein Erfolg werde. Hierdurch werde auch die Einigkeit Großbritanniens gestärkt. Jedoch dürften die einzelnen Nationen nicht durch getrennte Vereinbarungen mit der EU die Verhandlungsposition ihrer Regierung verschlechtern. Die schottische Erste Ministerin Sturgeon warnt dagegen, sie sei nicht bereit, einfach zuzuschauen, "wie Schottland in den Abgrund des harten Brexit gesteuert" werde. Der Preis "in Form verlorener Arbeitsplätze, ausbleibender Investitionen und niedrigen Lebensstandards" sei zu hoch.
Die unterschiedlichen Meinungen zum Ablauf des Brexit könnte zu einer Verfassungskrise und eventuell sogar zu einer Unabhängigkeitserklärung Schottlands und neuen Spannungen in Nordirland führen, schließlich hatte die Mehrheit der Schotten und Iren im Referendum für einen Verbleib in der EU gestimmt.